Afghanistans politisches System
Die Politik Afghanistans basiert auf ein totalitäres Regime, in welchem die Taliban die alleinige Macht innehaben. Das politische System ist ein Emirat, in welchem sich Machtkämpfe nur innerhalb der Regierung abzeichnen. Die Taliban-Regierung wurde 2021 als Interimsregierung ausgerufen, weshalb es noch keine offizielle Verfassung gibt. Dadurch werden keine Gesetze verabschiedet und es wird per Dekret regiert. Von den Ländern des Westens wird das Taliban-Regime nicht als Regierung Afghanistans anerkannt.
Entwicklung des politischen Systems in Afghanistan
(siehe auch: Geschichte Afghanistans)
Das Land ist seit dem Sowjetisch-Afghanischen Krieg (1979 – 1989) ein Krisenherd. Damals kämpften die Kommunisten Afghanistans um einen Anschluss an die Sowjetunion. Ihre Gegner waren die Mudschahid – Oppositionelle aus dem islamischen Lager. Die Kommunisten wurden militärisch von der Sowjetarmee unterstützt. Der Krieg endete, indem die Sowjetarmee begriff, dass sie den Krieg nicht gewinnen kann. Mit dem Abzug der Sowjettruppen begann ein Bürgerkrieg, welcher bis 1996 oder bis 2001 andauerte.
Die Taliban ergriffen ab 1996 die Macht. Die Bürgerkriegssituation hielt außerhalb der Großstädte weiterhin an. Die Taliban wurden von Osama bin Laden und seiner Terrororganisation Al-Quaida unterstützt.
US-Intervention
Am 11. September 2001 stürzten mehrere Flugzeuge ins World Trade Center, einem Wolkenkratzer in New York. Die Passagierflugzeuge wurden zuvor von Terroristen entführt, welche die Kollision erzwangen.
Die USA verdächtigte Osama Bin Laden und sein Terrornetzwerk Al-Quaida hinter dem Anschlag. Deshalb forderte die US-Regierung die Taliban-Regierung dazu auf, Bin Laden auszuliefern. Die Taliban lehnten dies ab, wodurch im Oktober 2001 die US-Intervention in Afghanistan begann.
In der Folge wurden die Taliban vertrieben und NATO-Truppen stationiert. Dieser Aufmarsch sollte den afghanischen Bürgerkrieg beenden. Von den USA und seinen Alliierten wurde eine neue Regierung unterstützt, welche eine Demokratisierung erreichen wollte. Am 26. Januar 2004 wurde die Islamische Republik Afghanistan ausgerufen mit neuer Verfassung ausgerufen.
US-Präsident Donald Trump verkündete 2020 den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan, woran sich auch sein Nachfolger Joe Biden hielt. Am 1. Mai 2021 begann die Rückverlegung der einzelnen Truppenteile und am 30. August 2021 verließ das letzte US-amerikanische Flugzeug den Flughafen von Kabul.
Von Pakistan aus, operierten die Taliban allerdings weiterhin und konnten bereits am 15. August 2021 erneut Kabul erobern. Der damalige Präsident Ghani flieht in die Arabischen Emirate. Sein Nachfolger wird Hibatullah Akhundzada als Oberster Führer Afghanistans.
Mit der Eroberung Kabuls (15. August) wird die Islamische Republik aufgelöst und das Islamische Emirat Afghanistan ausgerufen bzw. wiederhergestellt (Staat vor der US-Intervention).
Politik der Islamischen Republik Afghanistan (bis 2021)
Die Islamische Republik Afghanistan war eine Präsidialrepublik, welche zwischen 2004 und 2021 bestand. Nach der US-Intervention 2001 wurde zunächst eine afghanische Interimsbehörde (AIA) geschaffen. Diese wurde am 22. Dezember 2001 ins Leben gerufen.
Im Vorfeld der Regierungsbildung fand in Bonn (Deutschland) im Dezember 2001 eine Konferenz statt, auf welcher sich afghanische Politiker austauschten. Diese Konferenz fand unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen statt, um einen politischen Plan für Afghanistan zu beschließen. Auf der Bonner Konferenz wurde der Aufbau der AIA (Interimsbehörde) beschlossen, sowie deren Zuständigkeit und Vertretung. Weiterhin wurde Hamid Karzai als Vorsitzender der AIA gewählt.
Im Juni 2002 wurde die afghanische Interimsbehörde (AIA) in eine Übergangsregierung überführt, deren erster Präsident ebenfalls Hamid Karzai war. Die Übergangsregierung sollte die Möglichkeit für freie Wahlen eröffnen, welche dann 2004 stattfanden.
Bereits am 5. Oktober 2002 wurde eine afghanische Verfassungskommission geschaffen, um für den neuen Staat eine Verfassung zu entwerfen. Im Dezember 2003 wurde die neue Verfassung verabschiedet, welche die Grundlage für eine präsidiale Regierungsform mit einer Zweikammer-Legislative schuf.
Parlamentssystem und Wahlen
Am 9. Oktober 2004 fanden dann die Präsidentschaftswahlen in Afghanistan statt. Gewinner der Wahl war Hamid Karzai, welcher 55,4 % aller Stimmen erhielt. Er wurde zum ersten Präsidenten des neuen Staates ernannt und behielt das Amt bis 2014 (Nachfolger: Ashraf Ghani).
Man warf dem neuen Präsidenten Wahlbetrug vor, was durch Indizien-Beweise auch belegt werden konnte. Dennoch wurde die Wahl akzeptiert und Karzai wurde am 7. Dezember 2004 vereidigt. Er war der erste gewählte Präsident seit 1969.
Im darauffolgenden Jahr (2005) fanden die Parlamentswahlen statt. Das Parlament war ein Zweikammersystem, bestehend aus dem Haus der Ältesten (Meshrano Dschirga) und dem Haus des Volkes (Wolesi Dschirga). Erstere entspricht dem Oberhaus und letzteres dem Unterhaus.
Das Oberhaus setzte sich aus 102 Abgeordneten zusammen. Gewählt wurden die Abgeordneten durch Bezirksräte und Provinzräte, welche jeweils 34 Vertreter wählten. Die Kandidaten der Bezirksräte blieben für 3 Jahre im Parlament und die gewählten Abgeordneten der Provinzräte für 4 Jahre.
Die letzten 34 Sitze im Oberhaus wurden durch den Präsidenten nominiert, welcher laut Verfassung die Hälfte an Frauen zu vergeben hatte. Zudem wurden 2 Sitze durch behinderte Kandidaten und 2 Sitze für Kutschi-Nomaden reserviert.
Das Unterhaus Afghanistans (Wolesi Dschirga) setzte sich aus 249 Sitzen zusammen. Auch hier wurde der Frauenanteil berücksichtigt. Demnach mussten laut Verfassung 68 Frauen ins Parlament einziehen. Weiterhin mussten auch hier die Kutschi-Nomaden vertreten sein, deren Recht auf 10 Sitze bestand.
Überschattet wurden die Wahlen des Unterhauses von Anschlägen auf die Kandidaten. Mindestens 7 Kandidaten waren davon betroffen.
Exekutive
Die Führung der Exekutive oblag dem Präsidenten. Laut der afghanischen Verfassung war der Präsident das Staatsoberhaupt und ihm unterstanden die Streitkräfte. Er wurde von zwei Vizepräsidenten begleitet, welche sich durch die Wahlen ergaben.
Der Präsident ernannte die Mitglieder der Regierung und die Gouverneure der Provinzen. Das Parlament (Ober- und Unterhaus) fungierte als Nationalversammlung und musste die Ernennung der Kabinettsmitglieder und der Provinzgouverneure bestätigen.
Legislative
Die Legislative Afghanistans war die Nationalversammlung bestehend aus zwei Kammern (siehe oben). Die Aufgabe der beiden Kammern bestand darin, Gesetze zu ändern, zu erlassen oder aufzuheben. Hinzu kam, dass die Nationalversammlung mehrere Dekrete erlassen konnte, um die wirtschaftliche Lage zu verbessern oder Entwicklungsprogramme anzustoßen.
Zudem sollten Verwaltungseinheiten geschaffen, geändert oder beseitigt werden. Eine weitere Aufgabe bestand darin, internationale Verträge und Abkommen zu ratifizieren.
Judikative
Die Judikative Afghanistans setzte sich aus drei Ebenen zusammen. Ganz oben stand der Oberste Gerichtshof, deren Richter vom Präsidenten ernannt und durch die Nationalversammlung bestätigt wurden.
Der Oberste Gerichtshof war die höchste richterliche Instanz und stand über den Mittleren Berufungsgerichten und den unteren Gerichten der ersten Instanz.
Gerichte erster Instanz gab es in jeder größeren Stadt. Diese hatten verschiedene Zweige, ähnlich wie in Deutschland mit Familiengericht und Arbeitsgericht. Auf der untersten Ebenen standen zudem Militärgerichte, welche Straftaten von Militärangehörigen verhandelten.
Die Mittlere Ebene überprüfte die Angelegenheiten der unteren Gerichte (erster Instanz), falls eine Person oder eine juristische Person in Berufung geht. Falls die Rechtsangelegenheiten nicht auf zweiter Ebene geklärt werden können, übergibt die zweite Instanz die Angelegenheit an den Obersten Gerichtshof.
Politische System Afghanistans seit 2021
Mit der Machtübernahme der Taliban wurde die bestehende Verfassung abgeschafft. Dadurch wurde der Staat und seine Organe förmlich aufgelöst.
Die Regierung bezeichnet sich als Interimsregierung. Eine formelle Verfassung gibt es nicht. Demnach gibt es auch keine rechtsstaatliche Grundlage, auf welcher Gesetze aufbauen. Stattdessen regieren die Taliban per Dekret und beschließen so einzelne Maßnahmen. Innerhalb der Taliban existiert allerdings ein Diskurs darüber, eine neue Verfassung zu verabschieden.
Die neue Verfassung soll den Koran als Grundlage haben. Vor dem Einfall der US-Streitkräfte existierte ein Grundgesetz (Dastur), welches von islamischen Rechtsgelehrten entworfen wurde. Auf dieses Grundgesetz stützt sich das Islamische Emirat Afghanistan. Im Grundgesetz ist ein Oberster Führer vorgesehen, von dem aus jegliche Autorität ausgeht. Der oberste Führer muss ein sunnitischer Muslim und zugleich Anhänger des Hanafit (islamische Rechtsschule) sein.
Höchstes Legislativ-Organ ist laut der Dastur ein Einkammersystem, welches vom Obersten Führer geleitet wird. Als Rechtsgrundlage gilt die Scharia (islamisches Rechtssystem). Der Rat wird auch als Shura-Rat bezeichnet. Und deren Mitglieder werden vom Obersten Führer ernannt. Die Möglichkeit einen Ministerrat einzusetzen, welcher von einem Vorsitzenden geleitet, besteht dennoch.
Taliban-Regierung
Die Taliban-Bewegung entwickelte sich aus den Mudschahedin-Oppositionellen, welche im Sowjetisch-Afghanischen Krieg (1979 -89) gegen die Sowjetunion und deren Einflussnahme kämpften. Erstmals traten sie in Kandahar 1994 in Erscheinung und nahmen während der Bürgerkriegsjahre Kabul ein (1996). Mit der Einnahme Kabuls errichteten sie das Islamische Emirat Afghanistan, welches von den USA und seinen Verbündeten im Jahr 2001 aufgelöst wurde. Mit der Rückeroberung 2021 stellten sie das Islamische Emirat Afghanistan und die alte Ordnung wieder her.
Das Rechts- und Wertesystem der Taliban wird durch die Paschtunwali, einem Ehrenkodex der Paschtunen und der hanafitischen Lehre bestimmt. Die meisten Anhänger der Taliban sind Paschtunen, welche auch die zahlenmäßig größte Ethnie Afghanistans ausmachen. Da die Taliban mit dem Terroranschlag vom 11. September in Verbindung gebracht wurde, werden sie als Terrornetzwerk geführt.
Das Emirat Afghanistan ist eine Theokratie mit geistigen Führern an der Spitze. Grundlage der Regierungsarbeit ist die Scharia (islamisches Rechtssystem). Der Oberste Führer ist Staatsoberhaupt des Landes und zugleich oberster geistiger Führer. Umgeben ist der Oberste Führer von Klerikern, welche ihn in der Entscheidungsfindung beraten. Die Aufgaben des Obersten Führers sind die Ernennung des Kabinetts, der Justiz, des Generalstabs der Streitkräfte und der Provinzregierungen.
Per Dekret werden die Weisungen an die jeweiligen unteren Ebenen weitergegeben. Die jeweiligen Ministerien entwerfen Gesetze, welche der oberste Führer genehmigt oder verwirft.
Der Ministerrat ist das Kabinett des Staates. Dieser Rat setzt sich aus einer Kammer zusammen, welche wiederum aus verschiedenen Ministerien besteht. Eine Opposition im Parlament gibt es nicht. Vorsitzender des Ministerrates ist der Ministerpräsident. Sowohl oberster Führer, als auch die Minister und der Ministerpräsident gehören der Taliban an. Eine Gewaltenteilung liegt zwar vor, aber deren Vertreter werden durch Taliban-Anhänger besetzt.
Religion
(siehe auch Hauptartikel: Religion(en) Afghanistans)
Die Taliban sind Anhänger des sunnitischen Islams. Ein Großteil aller Afghanen gehört ebenfalls dieser Konfession an. Die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft des Landes ist der schiitische Islam. Alle anderen Religionen gehören einer sehr kleinen Minderheit an, deren Anteil bei etwa 0,3 % liegt. Die Religionsgeschichte Afghanistans ist dennoch vielseitig. So bestanden auf dem Gebiet des heutigen Afghanistans einst Zentren des Buddhismus und des Hinduismus. Weiterhin wird Afghanistan wird als ein Ursprungsgebiet des Zarathustrismus genannt.
Ethnien
(siehe auch Hauptartikel: Bevölkerungsgruppen Afghanistans)
Das afghanische Volk setzt sich aus mindestens 13 Ethnien zusammen. Diese entwickelten sich kulturell unterschiedlich. Der Großteil aller Afghanen gehört zur ethnischen Gruppe der Paschtunen. Während der Zeit der Islamischen Republik Afghanistans waren unterschiedliche Ethnien parlamentarisch vertreten. Da die Paschtunen mit etwa 60 % Bevölkerungsanteil die größte Ethnie ausmachen, sind auch die meisten Taliban-Funktionäre ebenfalls paschtunisch. Der Gründer der Taliban-Bewegung war Mohammed Omar, ebenfalls paschtunischer Herkunft.
Geografische Zusammenhänge
(siehe auch Hauptartikel: Geografie Afghanistans)
Die anhaltende Bürgerkriegssituation in Afghanistan wird und wurde durch die geografischen Besonderheiten des Landes gefördert. Denn das Land befindet sich am Hindukusch, einem Hochgebirge in Zentralasien. Etwa zwei Drittel des Staatsterritoriums sind von Gebirgsketten durchzogen. Größere Städte sind über Gebirgspässe miteinander verbunden.
Die Geografie des Landes bewirkte, dass sich kulturelle Strukturen unterschiedlich entwickeln konnten. In den Besatzungszeiten förderte die Isolation einzelner Gebiete auch, dass Afghanistan während des Sowjetkrieges als auch während der US-Intervention niemals vollständig kontrolliert werden konnte.